Wozu braucht man Grundlagenforschung?

In der Neurobiologie sind viele Mechanismen und Prozesse, die im Gehirn stattfinden, noch weitgehend unbekannt. Die Forschenden am LIN sind deshalb bestrebt, neue Erkenntnisse in den verschiedenen Bereichen zu erlangen und nutzen dafür verschiedene technische Methoden und konzeptionelle Ansätze.

Jede angewandte Forschung – zum Beispiel die Entwicklung eines Medikaments – basiert auf Grundlagenwissen. Nur wenn man weiß, wie eine Krankheit entsteht, kann man diese behandeln. Es ist deshalb die Aufgabe der Grundlagenforschung, zugrundeliegende Mechanismen aufzuklären, ohne dabei direkt auf eine Therapieanwendung zu zielen. Nur mit einem grundlegenden Verständnis, was bei einer Erkrankung abläuft, kann man in der angewandten Forschung gezielt nach wirksamen Substanzen suchen. Dementsprechend ist die Grundlagenforschung die Voraussetzung für anwendungsorientierte Entwicklungen und technische Innovationen.

Hier zeigen wir zwei Beispiele, wie die Grundlagenforschung am LIN auch einen Beitrag für den angewandten Bereich leistet:

CortiGrid - ein bidirektionales optoelektronisches Gehirn-Interface

Dr. Michael Lippert, Leiter der Arbeitsgruppe Neuro-Optik am LIN, Prof. Dr. Frank Ohl, Leiter der Abteilung Systemphysiologie des Lernens, und Martin Deckert, Mitarbeiter am Lehrstuhl Mikrosystemtechnik der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, haben CortiGrid federführend entwickelt. Es handelt sich dabei um eine Folien-Elektrode mit LEDs, die oberflächliche Strukturen des Gehirns aktivieren kann und somit zum Beispiel Hirnareale anspricht, die die Sinneswahrnehmung steuern.

„Wir verwenden dabei mit der Optogenetik eine Methode, die uns eine spezifischere Stimulation ermöglicht als über bisher verwendete elektrische Verfahren“, erklärt Lippert. „Durch eine optogenetische Gentherapie wird das Gehirn für Licht empfindlich gemacht. Dann verwenden wir ein Muster aus neuartigen mikroskopischen LED-Lichtquellen, um hochkomplexe Informationen ins Gehirn einzuschreiben. Gleichzeitig können wir durch Elektroden Gehirnsignale messen und diese zur optimalen Abstimmung der Stimulation verwenden.“ Bisher wird dieses bidirektionale Verfahren nur bei Nagetieren genutzt.

Die Forscher erhoffen sich mit ihrer Technologie, in Zukunft die Wahrnehmung bei Blinden oder Gehörlosen wiederherstellen zu können und Menschen zu helfen, die zum Beispiel nach einer Querschnittslähmung sensorische Störungen haben. Das Verfahren könnte aber auch in der optogenetischen Therapie von Epilepsie eingesetzt werden.

 

LINCAM - eine ultra-empfindliche zeitauflösende Forschungskamera

Im Speziallabor Elektronen- und Laserscanmikroskopie hat das Team um Dr. Werner Zuschratter, Dr. Yury Prokazov und Evgeny Turbin in langjähriger Forschung eine besonders empfindliche Kamera mit besonders hoher zeitlicher Auflösung entwickelt. „Zellen und Gewebe tolerieren nur ein bestimmtes Maß an Licht. Verwendet man zu viel davon, schädigt man dieses wertvolle biologische Material bereits während man es beobachtet. Unsere Kamera hat jedoch einen so empfindlichen Sensor, dass sie das einzige System ist, das unterhalb dieser kritischen Lichtgrenze Bilder erzeugen kann“, erklärt Zuschratter. Die LINCam arbeitet unterhalb der für lebende Zellen schädlichen Schwelle von 100 mW/cm² und misst fortlaufend das Eintreffen einzelner Photonen mit einer Zeitauflösung von 50 ps.

Die Kamera könnte in der bio-medizinischen Diagnostik angewendet werden, um gesundes und krankes Gewebe voneinander zu unterscheiden. Aber auch in der Umweltforschung, Astronomie oder Materialwissenschaft gibt es Anwendungsmöglichkeiten.

Die LINCam ist die Weiterentwicklung eines Labormusters, für welches das Team 2013 den Hugo-Junkers-Preis für das innovativste Vorhaben der Grundlagenforschung erhielt und 2017 mit dem 1. Preis in der Kategorie "Innovativste Projekte der angewandten Forschung" ausgezeichnet wurde. Die Forschungskamera wird seit 2018 von der Ausgründung Photonscore GmbH vermarktet.

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